Die sexuellen Politiken der Utopie

Wie lassen sich Politiken erfinden, die homonormative Kompromisse, heteronormative Vorannahmen und das Begehren nach einer verlässlichen sozialen und sexuellen Identität umgehen? Wir laden zu einem „kreativen Bastelworkshop“ ein, der Zukünfte kreiert, die keine Zukunft versprechen.

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Workshop im Vorfeld der Tagung „Queer Futurities – Today“

Sonntag 17. Mai 2009, 14.00 – 20.00,
WirrWarr, Dieffenbachstr. 36 , 2. Hinterhof, Berlin-Kreuzberg

Wir laden herzlich zum “kreativen Basteln” ein, um Zukünftigkeiten herzustellen, die vertraute Zukunftsvorstellungen herausfordern. Die Rede von „Zukünftigkeiten“ vervielfältigt die Zukunft nicht einfach, sondern lässt Zeit nach anderen Logiken funktionieren und verändert die Formen, in denen Zeit und Raum zusammenspielen. Nicht alle Formen der Zukunft sind automatisch der Fortschrittsnorm oder dem Reproduktionsideal verpflichtet. Deshalb die Frage: Wie lassen sich queere Politiken erfinden, die homonormative Versprechen, heteronormative Kompromisse und das Begehren nach glattem, stimmigen sozio-sexuellem Leben unterlaufen?

Der 4-stündige Workshop beruht auf gemeinsamen Praxen. Wir stellen Werkzeugkisten bereit, die Begriffe und Fragen, Material und Accessoires beinhalten, ebenso wie Raum zum Denken, Sprechen und Tun. Wir bitten, dass ihr mitbringt, was immer euch nützlich und begehrenswert erscheint, um unterschiedliche, parallele oder konkurrierende Zukünftigkeiten erarbeiten möchten. Z.B.: Ideen für “flash utopias”, “missbräuchlich verwendete Zeitmaschinen“ oder “queer politisierte Symptome”.

“Flash utopias” sind Fragmente utopischen Denkens, die  Vorstellungen queerer Zukunft inspirieren und zu (Gedanken-) Experimenten einladen: Was passiert, wenn diese Experimente hier und jetzt – unzeitgemäß wie sie sind – probeweise an einem öffentlichen Ort umgesetzt werden? “Missbräuchlich verwendete Zeitmaschinen“ sind utopische Transportmittel, die, statt in die Vergangenheit oder die Zukunft reisen zu lassen, nicht-lineare Formen der Bewegung durch die Zeit bewirken. „Queer politische Symptome“ sind Zeichen (erfundene, gefundene, leere, unverständliche oder vieldeutige), die (hetero-)normative Werthorizonte und Wertungsinstanzen herausfordern.

14.00 – 15.45

Unzeitgemäße Utopien: Politik der Heterotopie und queere Zeitlichkeit

Im ersten Teil des Workshops möchten wir herausfinden, ob das Konzept der Utopie für queere Politiken zu gebrauchen ist. Es hat viel Kritik an der Normativität, der Zielgerichtetheit und dem Idealismus von Utopien gegeben. Begründet dies jedoch eine grundlegende Skepsis oder können vielleicht auch fragmentarische oder widersprüchliche Utopien entworfen werden? Inwiefern lässt sich die Auffassung stärken, dass Utopien hier und jetzt „belebt“ werden und konkrete Brüche in Normalisierungsprozesse einfügen – selbst dann, wenn sie selbst Produkt unterliegender Normen sind? Utopie neu zu denken, bedeutet die Idee eines linearen fortschreitenden und fortschrittlichen Zeitverlaufs in Frage zu stellen. Das heißt: Wie lässt sich politische Handlungsmächtigkeit verstehen, wenn die Beziehung zwischen Vergangenheit und Zukunft nicht durch die Gegenwart vermittelt ist? Oder was bedeutet es, wenn sich die Gegenwart als queere Zeitlichkeit, Transtemporalität oder Komplex geschichteter, vielleicht unzusammenhängender Zeiten präsentiert?

16.15 – 18.00

Utopie Praktizieren – oder – Von der Sinthomosexualität zur Politik des Symptoms

Im zweiten Teil des Workshops könnte sich die Gruppe teilen. Die einen könnten “flash utopias” oder “missbräuchlich verwendete Zeitmaschinen“ praktisch werden lassen: z.B., indem sie Performance entwickeln, ein Handy-Video drehen, eine Intervention in den öffentlichen Raum vorbereiten, ein Manifest schreiben oder „futuristische“ Slogans erfinden. Das Abendprogramm bietet Möglichkeiten, die Ergebnisse zu präsentieren.

Diejenigen, die lieber diskutieren und gemeinsam denken möchten, können Lee Edelmans Konzept der “sinthomosexuality” zum Ausgangspunkt nehmen und überlegen, ob es so etwas wie eine queere „Politik des Symptoms“ oder eine „Politik der jouissance” geben könnte.

Gibt es eine Politik des Symptoms?

Beruht Politik grundsätzlich auf dem Versprechen einer besseren Zukunft? Läuft auch widerständige Politik letzendlich darauf hinaus, eine bestimmte soziale Ordnung zu bestätigen und zu forcieren? Lee Edelman prägt den Begriff “sinthomosexuality” und schlägt vor, queer als die andere Seite der Politik zum Einsatz zu bringen, als Symptom einer Ideologie, die er als „reproduktiven Futurismus“ bezeichnet, ein Symptom (sinthome), das dessen Grenzen verkörpert und die Unmöglichkeit des reproduktiven Versprechens aufzeigt: “in seiner Verweigerung von Sinn, treibt es die entscheidende Beziehung zum Vergnügen hervor“ (Edelman 2004: 35) und untergräbt Politik, die dem Zukunftsversprechen verpflichtet ist. Doch was bedeutet dies im Hinblick auf queere Politik?

Gibt es eine „Politik des Symptoms“? Und welche Symptome könnten queer-politisch relevant werden? Was heißt es, die Beziehung zum Vergnügen zu kultivieren, ohne sich dem Sinn und der sozialen Integration zu verschreiben? Verweist dies auf einen “no-future”-Ansatz? Und wenn ja, was sind dessen politischen Strategien? Gibt es eine – ungewollte – Produktivität noch in der Verweigerung der Zukunft?

Die Anmeldung zum Workshop erfolgte durch Einreichen einer “Postkarte”. Eine “Postkarte” ist ein aus Bild und/oder Text bestehendes digitales Dokument (10 x 15 cm), das Ideen zu “flash utopias,” “missbräuchlich verwendete Zeitmaschinen“ und/oder “queer-politischen Symptomen“ vorstellt. >>> Postkarten

Antke Engel and Jessica Dorrance,
zusammen mit Renate Lorenz, Maria do Mar Castro Varela and Volker Woltersdorf

P.S. Abhängig von den Teilnehmer_innen wird der Workshop in zwei oder mehr Sprachen – Deutsch, English u.a. – stattfinden und die Übersetzungsfähigkeiten der Teilnehmer_innen nutzen.

19.00 – 00.00 Abendprogramm

Präsentationen & Filmprogramm mit Arbeiten von Trevor Anderson, Mark Bradley, Karen Hines, Sara Jordeno and Maria Llopis; kuratiert von Jess Dorrance.

Time-Queering Against the Grain: Utopic Visions that Can’t be stopped

A fun-filled film program of shorts that is guaranteed to break your pocket watch!

The Island
Trevor Anderson, 2009, Canada, video, color, 5:22 min.

The Pool
Sara Jordenö, 2004, Sweden, 16mm, color with sound, 22 min.

My Name is Pochsy: An Industrial Film
Karen Hines, 2007, Canada, Super8mm, B&W, 7 min.

Family Outing
Mark Bradley, 2001, Canada, 16mm, color, 5:30 min.

La Bestia
Girlswholikeporno (Águeda Bañón and María Llopis), 2005, Spain, video, color, 2:16 min.

>Filmprogramm als pdf