TSG-Nachfolgeregelung

iQt unterstützt

die sechs Forderungen des BVT* für eine gelungene TSG-Nachfolgeregelung

– wenngleich mit einem Zögern:

Ohne Einschränkungen unterstütze ich die Forderung, das Personenstandsrecht so zu formulieren, dass der Geschlechtseintrag durch einen einfachen Verwaltungsakt geändert werden kann, der ausschließlich auf einer Selbsterklärung beruht.

Dringend sollte die darin liegende Möglichkeit wahrgenommen werden, das bisherige TSG aufzuheben und Geschlechtstransitionen zu einem personenstandsrechtlich abgesicherten Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (GG § 2) zu erheben.

Die Ablehnung jeglicher Form verpflichtender Beratung, Diagnostik und entsprechender Bescheinigungen ist zentral und unhintergehbar.

Entscheidend ist jedoch, dass ein egalitäres Gesetz geschaffen wird, das allen Menschen offensteht und keine gruppenspezifischen Sonderregelungen aufweist. Das Prinzip der Gleichbehandlung ist absolut zu setzen und bestehende Diskriminierungen oder Privilegien sind abzubauen.

Die aktuellen Forderungen des BVT* sind von einer identitäts- und interessenpolitischen Logik durchzogen. Nicht klar genug erscheint mir die Abgrenzung von – auch in konservativen Kreisen vertretenen – Klassifizierungen, die das Risiko tragen, Hierarchien aufrecht zu erhalten oder neue zu produzieren.

Forderung 3 sollte sich nicht nur für einen Vereinheitlichung des Personenstandsrechts aussprechen, sondern klar formulieren: Alle Optionen müssen allen Menschen offenstehen. 

Formulierungen, die dazu einladen, Personengruppen zu definieren oder gegeneinander abzugrenzen, bergen Diskriminierungsprobleme. Wenn trans*, inter* und nicht-binär nebeneinander stehen, muss klar sein, dass diese sich überlappen, dass männlich* und weiblich* nicht jenseits von TIN* verortet ist, und dass es keine objektiven Kriterien gibt, jemanden als cis* oder endo* zu bezeichnen: Auch inter* Personen können trans* sein; ‚weiblich’ und ‚männlich’ gibt keinerlei Auskunft darüber, ob diese von einer inter*, einer trans* oder einer cis* Person reklamiert werden; und es gibt unzählige Gründe gibt, warum jemand keinen Geschlechtseintrag in Anspruch nehmen möchte. 

Implizit wiederholt die jetzige Formulierung der Forderung 3 die umstrittene Auslegung, dass der § 45 b aktuell nur inter* Personen offenstehe.   

Deshalb plädiere ich im Hinblick auf einen weiteren Geschlechtseintrag für die Verwendung eines deutungsoffenen Begriffes (wie ‚divers’), der es erlaubt (ähnlich wie die Begriffe ‚männlich’ und ‚weiblich’) möglichst viele unterschiedliche Menschen darunter zu vereinen. Wird die Anforderung einer ärztlichen Bescheinigung gestrichen, kann auch auf die umstrittene Formulierung verzichtet werden, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliege.

Ziel der Reform sollte meiner Ansicht nach nicht (primär) Minderheitenschutz, sondern Geschlechtervielfalt sein; d.h. ein egalitäres Recht, das ‚weiblich’ und ‚männlich’ gleichberechtigt – und ohne den „Normalitätsbonus“ – in ein Spektrum geschlechtlicher Selbstverständnisse und Lebensweisen einordnet.

Im Hinblick auf Forderung 4 gilt es zu bedenken, dass Geschlechtsentwicklung ein Prozess voll innerer sowie sozialer Konflikte ist. Ein vereinfachender Ruf nach Selbstbestimmung übersieht, dass wir alle (nicht nur Kinder und Jugendliche) in unserer Geschlechtlichkeit aufeinander angewiesen sind, d.h. Bestätigung, Unterstützung und Respekt benötigen und entsprechend, den Risiken der Enttäuschung, Abhängigkeit, Ausbeutung und Gewalt unterliegen. Doch ist dies nicht durch das Personenstandsrecht zu regeln, sondern durch die Förderung sozialer, wirtschaftlicher, politischer und kultureller Partizipation. Antidiskriminierung muss nicht als Minderheitenschutz formuliert werden. Das bestehende Recht enthält Möglichkeiten, Diskriminierungspraxen zu verbieten, ohne Betroffenengruppen auszuweisen.

Ich frage also: Können wir die Perspektive von einer LGBTI*-Interessen-, Lobby- bzw. Minderheitenpolitik auf eine umfassende, intersektionale Gerechtigkeitspolitik verschieben? Sollten wir zwischen Interessenpolitik, die notwendig kompetitiv und in ihrer Reichweite begrenzt ist, zu einer Politik der Gerechtigkeit übergehen, die relational und bezogen auf vielfältige Machtungleichgewichte denkt? Was kann welche systemischen Veränderungen ermöglichen? Und nicht zuletzt: Wie kommen anti-essentialistische Queer-Politiken ins Bild, die egalitäre Verhältnisse anstreben, indem sie die Dominanz der Normalität zu unterbrechen trachten?

Antke Antek Engel, iQt Institut für Queer Theory, Berlin 28.04.2021