24.07.2024
Das Selbstbestimmungsgesetz (Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag, kurz: SBGG) regelt die Änderung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags und der Vornamen. Es ist am 19. Juni 2024 vom Bundestag beschlossen worden und tritt ab 1. November 2024 in Kraft. Nach der neuen gesetzlichen Regelung genügt die Selbstauskunft der Person beim Standesamt zur Änderung der Angaben. Ab dem 01. August werden Anmeldungen für Änderungen des Geschlechtseintrages möglich sein. Die Berliner Standesämter haben bereits frühzeitig Informationen zu Ablauf und Regeln bereitgestellt. Doch mit ihrer Auslegung der Namensregeln, die wenig mit Selbstbestimmung und viel mit staatlicher Autorität zu tun hat, haben sie für Verwunderung gesorgt und Kritik auf sich gezogen. Denn wieviele und welche Vornamen dem gewählten Geschlechtseintrag „entsprechen“, und ob dies womöglich nicht unbedingt ein „neuer“ Vorname ist, kann nur die Person selber entscheiden. Wir werden der Idee entgegenzutreten, dass diesbezüglich Standesbeamt*innen Namenslisten befragen und das Internet durchforsten, um sodann ihre Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern. Dies ist in Teilen schon angegangen worden, indem Antkek Engel Beschwerde beim Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel, der Aufsicht über die Berliner Standesämter und bei der Antidiskriminierungsstelle des Landes Berlin gegen die diskriminierenden Auslegung des SBGG durch das Standesamt Neukölln eingereicht hat.
Konkret lässt das Standesamt Berlin Neukölln die Anmeldeberechtigten zur Anmeldung für die Änderung des Geschlechtseintrags in einem eigens erstellten Formular unterschreiben, dass sie sich bewusst seien, dass die Anzahl der Vornamen nicht geändert werden kann. Hierbei unterschlagen sie auch, dass bei der Anmeldung nicht angegeben werden muss, zu welchem Geschlechtseintrag hin die Änderung gemacht werden soll – dies ist erst bei der Erklärung notwendig. Zudem wird unterschlagen, dass die Anmeldung auch mündlich gemacht werden kann.
Wir wenden uns dagegen, dass das Standesamt Neukölln das SBGG rigider auslegt als dies im Gesetzestext vorgesehen ist. Keine äußere Autorität kann entscheiden, ob Vornamen der eigenen Geschlechtsidentität entsprechen! Demnach kann niemand gezwungen werden, den/die bestehenden Vornamen abzulegen oder in der Wahl der Vornamen, deren Kombination oder Anzahl eingeschränkt zu werden!
Wir setzen darauf, das Standesbeamt*innen im konkreten Falle respektieren, dass nur die Person selber entscheiden kann, was es für sie heißt, dass sich Geschlechtseintrag und Vorname/n „entsprechen“.
Doch auch dann bleibt das Problem bestehen, dass – bereits laut Gesetz, nicht erst durch die Standesamtspraxis – das Beibehalten bestehender Namen erschwert wird und der Name nicht unabhängig vom Geschlechtseintrag geändert werden kann. In letzterem Punkt fällt das SBGG hinter die sogenannte „kleine Lösung“ des früheren TSG („Transsexuellengesetz“) zurück, die es erlaubte, allein den Vornamen zu ändern, um diesen der eigenen Geschlechtsidentität anzupassen.
Das SBGG, so begrüßenswert dessen Einführung ist, wird der Vielfalt geschlechtlicher Selbstverständnisse und queerer Lebensrealitäten nicht gerecht. In der engen Auslegung geht außerdem verloren, dass dieses Gesetz nicht nur trans*, inter* und nonbinären Personen, sondern allen Menschen offensteht. Auch cis-geschlechtliche Menschen können beispielsweise ein Interesse daran haben, auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten. Doch wieso sollte dies mit einer Änderung des Namens einhergehen? Und was würde es heißen, dass die Streichung des Geschlechtseintrags „der Geschlechtsidentität am besten entspricht“? Vielleicht empfindet eine Person, die den Geschlechtseintrag streichen lässt, gar keine Geschlechtsidentität. Womit die 2017 vom Bundesverfassungsgericht aufgeworfene Option für den nächsten Reformschritt des Personenstandsrechts wieder auf der Agenda steht: Die Erfassung des Geschlechts als personenstandsrechtliches Ordnungsmerkmal gehört abgeschafft!
Die Geschlechter denen, die drin wohnen!
Antkek Engel, Finn Scholle